Handeln statt Füße messen
Die fossile Industrie streut Desinformation im großen Stil. Eines ihrer Lieblingsnarrative: dass allein Verbraucher:innen für die Klimakrise und deren Lösung verantwortlich wären. Manuel von Treibhauspost erklärt, wie gefährlich dieser Mythos ist, und worauf wir stattdessen achten sollten.
Manchmal habe ich das Gefühl, das Mensch-gewordene schlechte Gewissen anderer Leute zu sein. Weil ich mich viel mit dem Klima beschäftige, glauben viele, ihr eigenes Verhalten vor mir rechtfertigen zu müssen. Wenn sie Auto fahren, Fleisch essen, online Fast-Fashion bestellen und natürlich vor allem, wenn sie fliegen. Da ist immer die Angst, geshamed zu werden.
Diese Schuldgefühle entspringen einem riesengroßen Irrglauben: dass ausschließlich wir als Konsument:innen für die Klimakrise verantwortlich wären. Dass wir uns nur alle selbst geißeln und in Verzicht üben müssten, um die Klimakrise zu lösen.
Natürlich ist es wichtig, seinen persönlichen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Individuelle Verhaltensänderungen (vor allem hin zu pflanzlicher Ernährung) sind laut dem Weltklimarat der UN (IPCC) extrem wirksame Maßnahmen auf dem Weg zu einer klimaneutralen Welt. Es wäre also Quatsch, wie Gott in Frankreich zu leben und es damit zu rechtfertigen, dass die wirklich großen Hebel für mehr Klimaschutz in Politik und Wirtschaft liegen. Wir alle sollten verantwortungsvoll mit dieser Erde umgehen. Überbordende Schuldgefühle und ein Tunnelblick auf den eigenen Fußabdruck helfen uns in der Klimakrise aber nicht weiter.
Die schmutzigsten Verschmutzer
Die wahren Schuldigen in der Klimakrise sind andere. Nämlich alle, die von der Ausbeutung des Planeten und fossilen Geschäftsmodellen besonders profitieren. Etwa Petro-Staaten wie Russland, die ihren Wohlstand und ihren geopolitischen Einfluss auf dem Export fossiler Brennstoffe aufbauen und nebenbei an unseren Demokratien sägen. Oder fossile Konzerne, die fröhlich weiter mit Kohle, Öl und Gas Geld scheffeln und kein Interesse an wirksamer Klimapolitik haben.
Viele dieser fossilen Konzerne gehören zu den sogenannten Carbon Majors. Das sind die größten Öl-, Gas-, Kohle- und Zementproduzenten der Welt. Allein 57 Carbon Majors sind für 80 Prozent der globalen Emissionen1 verantwortlich, die in den sieben Jahren, nachdem das Pariser Klimaabkommen verabschiedet wurde, ausgestoßen wurden. Wenn wir schon über Fußabdrücke sprechen, dann bitte zuerst über die Riesenfußstapfen dieser wenigen Konzerne.
Die Emissionen der Carbon Majors steigen bis heute an – genauso wie ihre Profite. Im Rekordjahr 2022 haben die fünf größten Ölkonzerne ExxonMobil, Chevron, BP, Shell und Total zusammen fast 200 Milliarden US-Dollar Gewinn2 gemacht und damit ihren Profit aus 2021 weit mehr als verdoppelt. Von einem Umbau des Geschäftsmodells keine Spur.
Die Verantwortung einfach mal weitergeben
Dabei gehört die fossile Industrie zu den Ersten, die von der menschengemachten Erderhitzung erfuhren. Schon im Jahr 1965 warnte der Präsident3 des Interessenverbands American Petroleum Institute die Öl- und Gasindustrie, dass die Zeit davonrennt, um die Welt vor den katastrophalen Folgen der Erderhitzung zu bewahren.
Die fossile Industrie nahm die frühen Warnungen ernst. Sie fürchtete sich aber nicht so sehr vor der Klimakatastrophe als viel mehr um ihr eigenes Geschäft.
Forscher:innen haben kürzlich interne Dokumente von ExxonMobil ausgewertet4 und festgestellt, dass Wissenschaftler:innen des Konzerns den CO₂-Anstieg wie auch die daraus resultierende Klimaerhitzung schon vor über 40 Jahren beeindruckend genau vorhersagten. Daraufhin begann der Konzern, die Wissenschaft öffentlich zu diskreditieren5 und eine der umfangreichsten Klimaleugnungskampagnen aller Zeiten6 zu fahren.
Bis heute ziehen fossile Akteure diesen Anti-Klimaschutz-Lobbyismus durch. Die fünf größten Öl-Konzerne zusammen investieren laut einer Analyse des Think Tanks InfluenceMap7 jedes Jahr 750 Millionen US-Dollar in Desinformation und Greenwashing.
Ihr Vorgehen ist dabei heute raffinierter, als den Klimawandel einfach nur zu leugnen. Im Paper Discourses of climate delay8 haben Forscher:innen Kommunikationsstrategien analysiert, mit denen Klimaschutz systematisch ausgebremst wird. Sie beschreiben 12 Typen von Klima-Mythen und haben sie in folgende Grafik gepackt:
Ein paar dieser Erzählungen werden Ihnen bekannt vorkommen, denn sie haben sich tief in unser Denken, Sprechen und Handeln eingenistet. Und Sie haben es geahnt: Hier kommt auch wieder der CO2-Fußabdruck ins Spiel. Zu den Bremser-Erzählungen zählt nämlich auch der „Individualismus“. Damit ist nichts anderes gemeint, als dass die Verantwortung für die Klimakrise und ihre Lösung verschoben wird – weg von den Carbon Majors hin zu den Individuen, weg von der Produktion fossiler Brennstoffe hin zum Konsum.
Eines der abstrusesten Beispiele dafür, wie dieses Narrativ absichtlich gestreut wird, ist BP. In den Jahren 2004 bis 2006 investierte der Konzern9 mehr als 100 Millionen Dollar pro Jahr in eine Kampagne, um das Konzept des ökologischen Fußabdrucks groß zu machen.
Den richtigen Fokus setzen
Die Erzählung, dass allein die Konsument:innen verantwortlich sind, verfängt so gut, weil sie einen wahren Kern hat. Wir alle tragen zur Erderhitzung bei, weil wir uns jeden Tag ernähren, mit Verkehrsmitteln fortbewegen oder Kleidung kaufen. Wenn wir uns aber ständig darum sorgen, wie groß unser Fußabdruck ist, bleibt keine Zeit, um über die Verantwortung der Carbon Majors nachzudenken – geschweige denn, uns aktiv für mehr Klimaschutz zu engagieren.
Die Individualisierungserzählung ist auch in den Medien omnipräsent. Ein befreundeter Journalist erzählte mir vor kurzem, dass er immer wieder Schwierigkeiten hatte, seine Chef:innen in der Redaktion zu überzeugen, über Klima-Themen zu berichten. Mitunter lehnten sie Themen ab, weil man nicht herunterbrechen konnte, was man als Einzelne:r gegen dieses Problem tun könnte.
Dabei wäre es wichtig, dass sich die mediale Berichterstattung nicht auf die Verantwortung der Einzelnen einschießt und stattdessen systemische und kollektive Klima-Lösungen viel stärker in den Blick nimmt. Und vor allem: dass Klima-Mythen und fossile Desinformation als solche erkannt und entkräftet werden.
Mit Händen statt Füßen
Noch einen Punkt sollten wir immer im Kopf haben, wenn wir über den CO2-Fußabdruck reden: Es besteht eine riesige Ungleichheit beim Ausstoß von Emissionen. Superreiche heizen die Erde viel stärker auf als der Rest der Welt. Oxfam veröffentlichte vor kurzem den Bericht Carbon Inequality Kills10. Demnach stößt ein Milliardär unter den Top 50 der reichsten Menschen weltweit durch seine Investments, Superyachten und Privatjets in 90 Minuten mehr CO2 aus als eine durchschnittliche Person in ihrem gesamten Leben.
Wir sollten uns bewusst machen, dass es im Kampf fürs Klima um weitaus mehr geht, als nur den eigenen Fußabdruck zu reduzieren. Viel ermächtigender kann stattdessen der Blick auf den Handabdruck sein. Damit ist deine ganz persönliche, positive Auswirkung auf unseren Planeten gemeint.
Das fängt mit dem Kreuzchen bei Wahlen an und geht über Demonstrieren bis hin zu Aktionen und Handlungen, mit denen man gesellschaftliche Rahmenbedingungen ein Stück weit ändert (zum Beispiel, indem man sich bei seinem Arbeitgeber dafür einsetzt, sein Unternehmen klimaneutral zu machen).
Es ist fast schon egal, wie klein der erste Handabdruck ist, solange man anfängt. Entscheidend ist, dass man sich bewusst macht, wo die eigenen Stärken liegen, was einen begeistert und was man wirklich schaffen kann. Dabei sollte man nie die Strahlkraft unterschätzen, die das eigene Tun auf andere haben kann. Am Ende sind es in erster Linie andere Menschen, die Menschen zum Handeln inspirieren.
Manuel Kronenberg
schreibt mit Julien Gupta den Klima-Newsletters Treibhauspost
Als freier Journalist und Co-Autor von Treibhauspost dreht sich bei Manuel alles um Texte über die planetaren Krisen – mit Perspektivwechseln, Gedankenexperimenten und immer einem konstruktiven Blick. Über 9.000 Menschen abonnieren den kostenfreien Treibhauspost-Newsletter bereits. Wir finden, es sollten noch mehr werden!